Veränderung leben!
Es ist März. Karneval liegt hinter mir und ich bin im Freizeit- und Farbfasten-Modus, d.h. ich spare mir mal wieder die Freizeit und trage klassisches Schwarz-Weiß. Leider völlig unabsichtlich.
Draußen bricht langsam der Frühling aus, traditionell wahrgenommen als „Alles wird neu!“. Eine Art wiederkehrender bunter Aufbruchstimmung, die auch mich erfasst. Veränderung muss her!
Im nächsten Moment stutze ich. Hieß das Sprichwort nicht: „Alles neu macht der MAI?“ Soll ich vielleicht doch noch warten, weil Volkes Mund ja bekanntlich alles andere als dumm ist? Oder bin ich dann schon wieder mitten drin in der berühmt-berüchtigten Prokrastination?
Gibt es überhaupt einen richtigen Zeitpunkt für Veränderungen?
Ich finde ja.
Der aufdringlichste ist der, an dem Veränderung sein muss – wenn ich irreparabel ausfalle, zum Beispiel, oder mein Dauer-Schwarz-Weiß-Look grau gewaschen ist. Da ist sofortiges Handeln angesagt, basta.
Daneben gibt es den „Sollte ich mal machen“-Zeitpunkt. Den empfindet mein Bauchgefühl lange vor meinem Kopf. Es rumpelt in der Gegend so komisch, wenn ich mal wieder Ja klar! sage, obwohl ich Nein, tut mir leid, aber geht (jetzt) nicht meine und damit kurz vor Toresschluss den Feierabend doch wieder hinausschiebe. Oder doch wieder das Grau-Schwarz-Weiß-Ensemble auftrage.
Die Kantine ist gut, auf die kann ich das Bauchgrummeln nicht schieben. Es muss also etwas anderes sein.
Es ist eine unbestimmte Unzufriedenheit, mit sich selbst, mit der Handlung oder mit der Situation, die das Grummeln auslöst. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich mich dann auf den Weg gemacht habe. Nicht ins Zimmer 13, sondern auf den Weg, Veränderungen anzudenken.
Bauch sagt ja, Hirn springt an: perfekt.
Nun ist niemand* damit gedient, wenn ich jauchzend Altgedientes über den Haufen werfe und mir und anderen Neues überstülpe – und sei es noch so bunt.
Also nehme ich mein Hirn dazu. Jeder hat seine eigene Strategie, Entscheidungen rational vorzubereiten. Ich mache das rein im Kopf, andere schreiben oder malen Argumente-Listen. Jeder nach seiner Fasson, da gibt es kein besser oder schlechter. Hauptsache, Bauch und Hirn kommen zum selben Ergebnis: Her´ mit der Veränderung!
Wenn nicht, dann war wohl doch nur das letzte Mittagsgericht schwerverdaulich. Oder mein liebes Bauchgefühl muss lernen, das nicht immer alles nach seinem Willen laufen kann und das Grummeln deswegen einstellen.
Tausch´ mal wieder!
Als ich neulich zu dem Ergebnis kam, es werde nun wirklich mal Zeit, mein Freizeit- und Farbfasten zu brechen, kam ich genau bis hierhin.
Warum?
Weil ich einen entscheidenden Fehler gemacht habe! Ich bin nämlich auf meiner Ach-so-tollen-inneren-Veränderungsentscheidungs-Argumente-Liste sitzengeblieben.
Ich hatte vergessen, dass ganz besonders dann, wenn meine Veränderung auch andere betrifft (und im beruflichen Umfeld ist das wohl immer so) zu meinem eigenen Willen auch die Überzeugungsarbeit am Willen anderer tritt. Da will Veränderung doppelt gut gedacht werden.
Gefühlt weicht nichts so sehr voneinander ab wie die Eigenwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung, wenn es um Veränderungen geht:
Ich selbst sah meiner neugewonnen Farb-Freizeit mit einem „Juchhu“ entgegen, stieg in die Budgetplanung ein, übte „Nein“ sagen und Farbkombinationen vor dem Spiegel und befand alles bestens bedacht.
Von den liebsten aller mich umgebenden Mandantenmenschen kam indes nur ein langgestrecktes „Ääähm. Aber dann …“
Es bedurfte der Kommunikation.
Wie sich herausstellte, waren meine Argumente leider nicht so stichhaltig, wie ich gedacht hatte. Ich hatte zum Beispiel vergessen, dass meine Handwerktreibenden 7:30 Uhr morgens fast als Mittagszeit empfinden. Bis dahin wollen Sachverhalte geklärt sein.
Das Alte hatte also etwas für sich, bei beiderseitigem Lichte betrachtet. Die alte Regelung steht jedenfalls noch. Lustigerweise ist dafür das Bauchgrummeln beim Frühaufstehen weg. Spötter werden feststellen, dass da ja auch schon eine Veränderung ist.
Mein bunter Auftritt wurde erst gar nicht thematisiert – Schweigen gepaart mit sehr hochgerutschten Augenbrauen kann beredt sein.
In Zukunft werde ich vor einseitiger Verkündung einer Veränderung wieder „Tausch mal“ spielen. Das ist ein Spiel, das gerade Jurist* besonders gut beherrscht: In Gedanken Rollentauschen (oder sich „auf den anderen Stuhl setzen“, wie mein Erstsemester-Professor gerne sagte). Die Position des anderen einnehmen und dessen Argumentationslinien vorwegdenken. Dann die eigene darauf ausrichten.
Nicht zu vergessen, die ganz hohe Kunst: Dabei auch die Emotionen des anderen einzukalkulieren. Wir haben nicht alle dasselbe Veränderungs-Bauchgefühl, neigen zu Vertrautem, haben liebgewonnene Rituale. Das ist anzuerkennen und einzubeziehen, sonst wird es rücksichtslos. Die Argumente meiner „Handwerker“ waren stichhaltig, die Erwartungshaltung an das „Berufsoutfit“ hat etwas mit der anerkannten Wirkung von Farben zu tun – warum also nicht Bedenken und Überdenken?
Letztes Mittel: Anschleichen!
Sehr selten stoße ich auf Veränderungsresistenz, bei mir selbst und bei anderen. Das ist eine nicht argumentativ zu stützende Verweigerung jeglicher Veränderung, eine Art sinnloser Trotzhaltung. Da mache ich es mir ausnahmsweise zur Aufgabe, die Argumentationslinien zu durchkreuzen.
Hierfür habe ich – dem Tipp eines Psychologen folgend – das Mäuschen-Konzept entwickelt: Jede Veränderung wird in kleinste Schrittchen zerlegt, so klein, dass sie gar nicht auffallen. Einer nach dem anderen wird umgesetzt.
Ich erkämpfe mir mein Freizeitfastenbrechen und eine Abweichung vom „Gedeckte-Farben-Stereotyp“ also nicht, sondern erschleiche es mir erstmal. Statt eines kategorischen „Nein, das geht nicht“ schleiche ich einfach mal eine halbe Stunde später ins oder früher aus dem Büro. In zartrosa Bluse mit schwarzem Pulli drüber. Tags darauf ist besetzt (und mich sieht keiner). Ein paar Tage später kündige ich meine Abwesenheit vielleicht an und komme im hellblauen Anzug.
Das Ausbleiben des Weltuntergangs kann später unmittelbar verwendet werden. Argumentativ und emotional.
Bis zur Änderung meines gesamten „Freizeit-Farb-Verhaltens“ sind es noch ein paar Schritte, aber ich bin fest entschlossen, Veränderung zu leben.
Sie können im Mai ja mal Mäuschen spielen und nachhören, ob alles Neu ist. Aber Pssst. Nicht, dass Ihr Bauch grummelt!